Die Vorstellung der unabhängigen Studie zu sexualisierter Gewalt im Bereich der Evangelischen Kirchen in Deutschland hat deutlich gemacht, dass die Zahl betroffener Personen viel höher ist als bisher bekannt – darüber sind wir erschrocken und traurig. Zugleich sind Defizite im Umgang mit Betroffenen und Mängel in der Aufarbeitung aufgezeigt worden. Dass Personalakten von den Landeskirchen nicht in ausreichendem Umfang in die Studie eingeflossen sind, erzeugt den Eindruck von Vertuschung und fehlender Kooperation – darüber sind wir vor Ort sehr verärgert.

Die Studie stellt uns wichtige qualitative Hinweise für den weiteren Umgang mit dem Thema zur Verfügung, vor allem die Perspektive der Betroffenen hat den Raum bekommen, der zwingend notwendig ist für eine klare Beurteilung der Ursachen für sexualisierte Gewalt. Die fehlenden bundesweiten Standards zur Dokumentation der Fälle und ihrer Bearbeitung haben wir vor Ort schon lange eingefordert, es kann nicht sein, dass jede Landeskirche mehr oder auch nur weniger gute eigene Regelungen hat.

Im Kirchenkreis Hittfeld haben wir uns sofort nach Bekanntwerden eines Falles sexualisierter Gewalt in einer unserer Gemeinden dafür entschieden, offen und transparent mit den Geschehnissen umzugehen. Zugleich war uns klar, dass wir alle nötigen Schritte der Kommunikation, der Aufarbeitung und der Prävention nur in enger Absprache und im Einvernehmen mit den Betroffenen auf den Weg bringen wollen. Hilfreich war uns dabei die Begleitung externer Beraterinnen, mit denen wir uns fachlich austauschen und unsere geplanten Maßnahmen reflektieren konnten. Die jetzt vorliegende unabhängige und umfassende Studie zur Untersuchung sexualisierter Gewalt im Bereich der Evangelischen Kirche haben wir begrüßt und als notwendig erachtet, um sämtliche Faktoren, die Missbrauch ermöglichen oder begünstigen, zu identifizieren und ihnen konsequent begegnen zu können.

Der Fall im Kirchenkreis Hittfeld liegt mehrere Jahrzehnte zurück, kein heute Verantwortlicher vor Ort und in übergeordneten Gremien ist schuldhaft in ihn verwickelt. Wir sind erschüttert über das damalige Geschehen, stehen eindeutig an der Seite der Betroffenen und bedauern außerordentlich das Leid, das ihnen angetan wurde. Wir unterstützen alle Bemühungen um ihre maßgebliche Beteiligung bei Aufarbeitung und Prävention, der Anerkennung erlittenen Unrechts und der Offenlegung der Strukturen von Machtmissbrauch in kirchlichen Kontexten. Täter und Taten müssen klar benannt werden, ihr in wenigen Fällen noch vorhandenes positives Ansehen oder entschuldigende Umstände bedürfen der Revision.

Heute sehen wir uns in der umfassenden Verantwortung dafür, alles in unseren Kräften Stehende dafür zu tun, dass sich solche Fälle nicht wiederholen. Dem externen Forschungsverbund haben wir Einblick gegeben in alle Unterlagen und Dokumente aus damaliger Zeit, umfassend informiert über alles, was wir wissen oder vermuten, und angeboten, Zeitzeugen und mögliche Auskunftgeber zu vermitteln. Vor Ort gab es Begegnung und Austausch zwischen Betroffenen und derzeitigen Mitgliedern des Kirchenvorstands, begleitet von der landeskirchlichen Fachstelle und unabhängigen Expertinnen.

Im Kirchenkreis Hittfeld haben wir viel gelernt und verstanden im Umgang mit sexualisierter Gewalt. Wir haben verbindliche Schutzkonzepte, ein Prozess hat begonnen, in dem mit dem Thema vertraute und ausgebildete Fachkräfte kontinuierlich alle Haupt- und Ehrenamtlichen im Kirchenkreis schulen, mit dem Ziel einer hohen Sensibilisierung für Gefährdungspotenziale und sofortigen Handlungsmöglichkeiten bei Verdachtsmomenten. Durch die Rückmeldungen der Betroffenen werden wir ermutigt, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Die Ergebnisse der unabhängigen Studie zu den kirchlichen Strukturen, bei denen es Änderungen geben muss, haben uns größtenteils nicht überrascht. Wir setzen uns vehement dafür ein, dass unklare Zuständigkeiten, das Verschieben von Verantwortung und fehlende Handlungsmöglichkeiten schnell der Vergangenheit angehören müssen.

Superintendent Dirk Jäger